Das Forschungsgebiet Eye-Tracking existiert seit mehreren Jahrhunderten – auch wenn übliche Anwendungsgebiete wie Werbewirkungsforschung und User Experience (UX) noch keine so lange Geschichte haben. So seltsam das auch klingen mag war UX tatsächlich ein überraschend frühes Anwendungsgebiete in der Geschichte.
Die Teilnehmer der Studien, welche Eye-Tracking einsetzen, können im Übrigen froh über die technischen Entwicklungen der letzten zwei Jahrhunderte sein. Blickverläufe aufzuzeichnen war im 19. Jahrhundert wohl alles andere als eine angenehme Erfahrung. Einen kurzen Überblick über die wichtigsten Entwicklungen der letzten beiden Jahrhunderte liefert der folgende Post. Von Drähten, welche am Augapfel befestigt wurden, bis hin zum modernen Webcam Eye-Tracking.
Erste mechanische, invasive Versuche ab 1800
- Circa 1800:
Aufgrund mangelnder Instrumente und Technik basierten die ersten Eye-Tracking Studien auf direkter Beobachtung. Daher versuchten die Forscher, durch reine Beobachtung der Augenbewegungen festzustellen, wo eine Versuchsperson hinsieht. Zu diesem Zweck legten sie beispielsweise einen Spiegel in das Buch, welches die beobachtete Person las.
- 1878:
Erste skurrile Versuche, Augenbewegungen tatsächlich messbar zu machen: Ein Gummiband verband das Auge mit dem Ohr, um so Geräusche der Augenbewegungen hör- und so messbar zu machen.
- 1879:
Louis Emile Javal stellte fest, dass Texte nicht mit gleichmäßigen Augenbewegungen von links nach rechts gelesen werden, sondern mit Fixationen, Stops und Sakkaden. Seine Tracking-Methode der Wahl war es, Probanden mit einem geschlossenen und einem offenen Auge lesen zu lassen. Über dem geschlossenen Augenlid platzierte er ein Mikrofon. Bei abrupten Augenbewegungen stieß der Augapfel an das Mikro und erzeugte so ein Geräusch.
- 1898:
Auch Edmund Huey befestigte Dinge auf Augäpfeln. Mit Hilfe von Gips klebte er kleine „Kappen“ (eine Art antike Kontaktlinse) an den Augen der Versuchspersonen fest. An diesen Kappen wiederum brachte er ein Draht an, der sich schließlich mit dem Auge bewegte. Schließlich ritzten die Bewegungen dieses Drahtes die Blickverläufe in eine mit Ruß überzogene Platte.
Technologische Entwicklungen
- 1901:
Mit der Jahrhundertwende kommen glücklicherweise erste non-invasive Methoden des Eye-Trackings auf. Es entstehen Systeme auf Basis der Hornhautreflektion. Zum ersten Mal werden also die Augenbewegungen mithilfe des Lichtes, welches von der Cornea reflektiert wird, aufgezeichnet. Auch die ersten Frame-by-Frame Bewegungs-Analysen folgen: kleine Stücke von weißem, reflektierenden Material werden auf die Augäpfel der Teilnehmer gelegt. Diese weißen Punkte sind auf Aufnahmen besser sichtbar und so besser verfolgbar.
- 1920er:
Bis zu diesem Zeitpunkt wurden lediglich Hin- und Her- Bewegungen der Augen in eine Richtung festgehalten. Folglich waren die Messungen eindimensional. Erste 2D Aufzeichnungen von Blickverläufen entstanden, indem ein Auge genutzt wurde, um die vertikalen Bewegungen aufzuzeichnen und das andere für die horizontalen.
- 1930er:
Die gemessenen Augenbewegungen werden als Scan-Paths visualisiert. Ende der 30er kommt die Elektro-Okulografie auf: Ein Netz von Elektroden, welche um die Augen der Teilnehmer herum angeklebt wurden, machten Bewegungen der Augen messbar.
Ausweitung der Anwendungsgebiete
- 1950er & 60er
Alfred Yarbus, der Pionier der Blickregistrierung mit hoher Genauigkeit, weist nach, dass die Augenbewegungen nicht nur von der Art der Stimuli abhängen. Tatsächlich hat die Frage, welches Ziel der Betrachtende verfolgt, einen größeren Einfluss auf das Bickverhalten. Erstmals stellt er die These auf, dass Blickverläufe in gewisser Weise Gedankengänge spiegeln. Für seine Messungen nutzte er Kontaktlinsen, auf welchen er kleine Spiegel auf Stelzen anbrachte, oder Kontaktlinsen mit integrierten Drahtschleifen. Die Bewegung dieser beeinflusste ein elektrisches Feld um die Köpfe der Probanden und wurde so messbar.
- 1980er:
Viele Jahre wurde Eye-Tracking aufgrund hoher Kosten überwiegend in den Bereichen Medizin, Psychologie und der Lehre verwendet. Fortschritte der Technik und vor allem die Entwicklung immer leistungsfähigerer Computer eröffnet neue Möglichkeiten für das Video-basierte Echtzeit Eye-Tracking. Das Interesse am Eye-Tracking aus Sicht der Markt- und Werbeforschung sowie zur Klärung von Fragen der Human-Computer-Interaction wächst.
Modernes Eye-Tracking wird schlank und flexibel
- 1990er
Tools zum Eye-Tracking werden immer genauer und leistungsfähiger. Gleichzeitig fallen die Preise für die verwendete Technik – die Eye-Tracking Community wächst stark. Die Hauptabnehmer sind aufgrund der veränderten Kosten nicht länger ausschließlich medizinische und wissenschaftliche Forschung. Üblich ist auch die heute noch weit verbreitete Technik der Corneal Reflection. Das Messen der Augenbewegung findet also mit einem Lichtstrahl – in der Regel handelt es sich um Infrarotlicht – welcher von der Hornhaut reflektiert wird, statt.
- 2000er:
Corneale Reflektion ist nach wie vor die Methode der Wahl. Während die verwendete externe Hardware kontinuierlich weiter verbessert und somit immer portabler wird, schränkt Eye-Tracking die Nutzer immer noch in ihrem natürlichen Verhalten ein. Entweder benötigt man eine Art „Head-mounted-device“ (und sei es nur eine Brille), oder externe Kameras. Studien finden in der Regel im Labor statt, auch außerhalb des Labors müssen in der Regel Experten zur Nutzung der Hardware anleiten.
- 2010er:
Praktisch jeder Laptop und jedes Smartphone verfügt über eine Kamera. Damit eröffnen sich auch für das Eye-Tracking neue Möglichkeiten. Webcam Eye-Tracking filmt die Augen der Teilnehmer und errechnet die Blickverläufe über den Abgleich mit Datenbanken und dem Vergleich mit Kalibrationsdaten. Damit wird Eye-Tracking endgültig non-intrusive und außerdem flexibel. Nicht nur müssen Probanden sich keine Drähte mehr auf ihren Augapfel kleben lassen, sie können sogar bequem vom Sofa aus an Eye-Tracking Studien teilnehmen. Und das sogar ohne zusätzliche Technologie oder das Installieren spezieller Software.